04. Mai 2016, 18:13 Uhr

In der Männerfalle

Bad Nauheim (sda). Was ist männlich, was weiblich? Und welche Erwartungen müssen Mann und Frau erfüllen? In dem Roman »Die Erziehung des Mannes« stellt Michael Kumpfmüller diese Fragen. Am Mittwoch, 4. Mai, 19.30 Uhr, liest er im Bad Nauheimer Badehaus 2. Im Interview spricht er über die Probleme eines Mannes und über Liebe auf Augenhöhe.
04. Mai 2016, 18:13 Uhr
Liebe ist möglich, wenn man den anderen nicht als Wunscherfüllungsmaschine sieht, sagt Michael Kumpfmüller. (Foto: pv)

Wann ist ein Mann ein Mann?

Michael Kumpfmüller: Das ist die Frage des Romans. Aber ich denke, ich habe eine Antwort darauf gefunden. Ein Mann ist ein Mann, wenn er das, was klassischerweise ein Mann gewesen ist, sein darf und zugleich etwas anderes – das, was man weiblich nennen könnte.

Demnach sind Rollenbilder hinfällig?

Kumpfmüller: Ich bin kein Freund von irgendwelchen wischiwaschi androgynen Konzepten, bei denen alle Unterschiede verschwinden. Unterschiede sollen bleiben. Doch meinem Verständnis nach gehört es zum Charme der jetzigen Situation, dass der Mann beides probieren kann, ebenso wie Frau auch das männliche probieren kann. Die Frage ist nur, ob das im Alltag funktioniert.

Sie sprachen von einem klassischen Mann – was ist das für einer?

Kumpfmüller: In der ursprünglichen, noch vor einer Generation weitgehend gültigen Konstruktion, war es so, dass der Mann aus seiner ökonomischen und gesellschaftlichen Stellung heraus der war, der die zentralen Ansagen gemacht hat, vermeintlich auch sexuell. Die Falle, in der Mann und auch Frau sitzen, ist, dass es unterschiedliche Rollenerwartungen gibt, die alle nicht mehr zuverlässig zu bedienen sind. Überspitzt gesagt: Der Mann weiß nicht mehr, wer oder was er sein soll. Soll er der Ansager sein oder der Partner? Das herauszufinden ist schwierig.

Der Protagonist Ihres Romans steckt in dieser Falle. Was ist er für ein Mensch?

Kumpfmüller: Mir ist er sehr sympathisch; sein Hauptfehler ist, dass er nicht gehen und auch nicht so gut Nein sagen kann. Auf den ersten Blick sieht das nach einer tödlichen Schwäche aus, aber in Wahrheit sind das positive Eigenschaften. In dem Sinne, dass er glaubt, wenn er eine Beziehung eingeht, und damit meine ich nicht nur eine Paarbeziehung, auch eine Verpflichtung entsteht. Es ergibt sich ein Treueverhältnis. Manchmal schadet ihm das, weil er zu spät entdeckt, dass er auch die Option hat, zu gehen. Wobei man eben nicht sagen kann, das ist eine Position der Schwäche oder der Tugend. Es stellt sich erst im Laufe der Zeit heraus, was das Gute und Schlechte daran ist. Wie es eben ist im Leben.

Ein Rezensent Ihres Buches fasst es so zusammen: Es geht um seinen Mangel an männlicher Identität. Im Grunde sagen Sie aber doch, das muss nicht unbedingt eine Schwäche sein.

Kumpfmüller: Ich formuliere es einmal ausgehend von der Frau. Die Idee des Feminismus’ war die, dass es Gleichberechtigung gibt. Die Idee ist richtig, aber: Das Problem ist, dass die Frau, die selbst auch eine unsichere Geschlechtsidentität hat, zu verschiedenen Zeiten verschiedene Signale aussendet. Manchmal will sie beschützt und von einem starken Mann umgeben sein, der weiterhin die Ansagen macht, und manchmal will sie, dass alles auf freier Verhandlungsbasis läuft. Das Problem: Mann weiß nie, wann was der Fall ist.

Ein reines Männerproblem?

Kumpfmüller: Nein, das ist kein speziell männliches. Wir alle wissen nicht, in welcher Rolle wir agieren sollen. Wobei gerade darin auch die Freiheit steckt. Ich will niemand sein, der sagt: Um Gottes Willen, was hat uns dieser verdammte Feminismus gebracht. Überhaupt nicht. Ich erzähle nur, wie neu und unübersichtlich die Lage ist. Der Feminismus ist eine ideologische Erzählung. Es hat sich objektiv geändert, dass Frauen nach einem langen Kampf vermehrt in den Arbeitsmarkt eintreten, besser ausgebildet werden, selbst Geld verdienen. Das ist die materielle Seite davon. Und die ist gut. Aber, ich sage es mit Virginia Woolf, die in Sachen Feminismus zwei Thesen hatte, die erste: Die Frau darf auf keinen Fall wie der Mann werden, denn dann ist nichts gewonnen, dann findet nur eine Umkehrung statt. Und die zweite: Wenn wir die Frau befreien, müssen wir auch darüber nachdenken, den Mann zu befreien. Denn er steckt in den gleichen Mühlen und Unfreiheiten des Arbeitsmarkts wie die Frauen, außer dass er statistisch mehr verdient. Beide Geschlechter leben in der Entfremdung. Deswegen glaube ich, Emanzipation ist dann gelungen, ich sage es pathetisch, wenn beide Geschlechter zu Menschen werden.

Und, das ist ein weiteres Thema in Ihrem Roman, in diesem Rahmen die Liebe finden – unabhängig von Rollenerwartungen?

Kumpfmüller: Ich glaube Liebe ist, egal zwischen wem und zu wem, ob zu einem Partner, zu einem Kind oder zu einem Freund, nur dann möglich, wenn beide Seiten bereit sind, zu ertragen, dass der andere anders ist. Und eben nicht glauben, der andere sei eine Wunscherfüllungsmaschine oder eine Filiale des Ichs, die genau das macht, was ich will. Dann ist Liebe möglich. Wenn man jedoch glaubt, der andere ist nur da, um einen zu füttern, mit positiver Energie, mit Anerkennung, dann wird die Beziehung scheitern.



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