Der Name Melchiorsgrund steht seit vielen Jahren für eine Suchthilfe-Einrichtung, die mit unkonventionellen Methoden arbeitet, damit aber gute Erfolge erzielt. Untrennbar verbunden ist mit dem Namen der Einrichtung ihr langjähriger Leiter. Der äußerst umtriebige 67-Jährige muss sich allerdings seit Montag vor dem Gießener Landgericht wegen Untreue verantworten. Statt Gelder des gemeinnützigen Vereins für die Behandlung von Suchtkranken zu verwenden, soll er sie in Projekte in Georgien gesteckt haben.
Ferner sollen laut Gericht in einigen Fällen sehr freizügig Stipendien vergeben worden sein, darunter an die ehemalige Freundin des Hauptangeklagten, mit der er einen sechsjährigen Sohn hat.
Die Kontakte in den Osten reichen in die Zeit Ende der 1980er Jahre zurück, als das ehemals große Sowjetreich zusammenbrach. Helfer der Freien Lebens-Studien-Gemeinschaft für soziale Hygiene, wie die Einrichtung in Hopfgarten heißt, wurden dort damals in vielen Bereichen tätig.
Schillernde Persönlichkeit
Mit auf der Anklagebank sitzen zwei Mitarbeiter, darunter der heutige Leiter. Sie sollen davon gewusst haben, dass Geld abgezweigt wurde für Projekte, aber nichts dagegen unternommen haben. Ob die Projekte gegen den ursprünglichen Vereinszweck verstoßen, muss das Gericht mühsam aufdröseln. Denn durch die enge Verquickung von Leben, Arbeit und Freizeit von Mitarbeitern und Patienten ist ein ganz besonderes Modell entstanden. Auch auf den Konten wurden nicht immer alle Geschäftsbereiche offenkundig fein säuberlich getrennt. Deshalb werden Satzungsänderungen beim Verein und Unterlagen von Wirtschaftsprüfern und Oberfinanzdirektion eine große Rolle spielen. Im Laufe der Jahre war viel Geld im Spiel, immer wieder wurden Projekte vorfinanziert. Große Probleme gab es, als Schloss Altenburg übernommen wurde, wo eine Schule entstehen sollte.
Bei der ausführlichen Einlassung erscheint der Hauptangeklagte als schillernde Persönlichkeit. Seine soziale Ader paart sich bei dem gelernten Bankkaufmann mit Geschäftssinn, vielen Ideen – und einer gewissen Portion Eitelkeit. Als er die umfangreichen Hilfsaktivitäten in den ehemaligen Ländern des Ostblocks schilderte, vergaß er nicht, mehrfach zu erwähnen, dass »sich Herr Schewardnadse (letzter sowjetischer Außenminister und erster georgischer Ministerpräsident) Hilfe suchend an mich wandte«. Der 67-Jährige, der immer noch als Macher-Typ auftritt, ist mittlerweile Rentner und arbeitet nebenbei für den WWF (World Wildlife Fund), wo er nach eigener Aussage »mit Vertretern der größten Firmen der Welt am Tisch sitzt«. In Hessen hatte ihn der damalige Sozialminister Armin Clauss Anfang der 1980er Jahre gebeten, eine Hilfseinrichtung für Suchtkranke aufzubauen, nachdem vermehrt junge Leute den Drogentod gestorben waren.
Anfänge in der Schweiz
Wie kam der 67-Jährige dazu, der kein Arzt war? Schon direkt nach seiner Ausbildung bei der Bank war der gebürtige Braunschweiger in den Sozialbereich gewechselt, hatte in der Schweiz begonnen, in der Suchthilfe zu arbeiten. Weil immer mehr Patienten aus Deutschland darunter waren, kam es, dass er am Bodensee eine Klinik aufbaute, deren Leiter er mit gerade 21 Jahren wurde. In Seminaren hatte er sich zum Therapeuten fortgebildet. Später baute er in Schwalmtal die Freie Lebens-Studien-Gemeinschaft auf. Der Arzt, der sie heute leitet und mitangeklagt ist, lässt auf das Werk des Gründers nichts kommen. In der Einrichtung seien erstmals die starren Psychiatrie-Strukturen aufgebrochen worden. Im Melchiorsgrund entstanden eine Landwirtschaft und weitere Zweige wie Gebäudesanierung, Theater-Werkstatt oder Kunstprojekte. Das Geld für die Betreuung der Patienten kommt von den verschiedenen Trägern, dazu gibt es Spenden und Einnahmen aus dem Verkauf von Produkten. Besonders auf dem Sektor Ökologie erlangte man großes Know-how, das sehr gefragt ist.
Weitere Verhandlungstage
Der jetzige Angeklagte war bis 2013 Geschäftsführer der GmbH, die für die unterschiedlichen Bereiche gegründet worden war, und wurde nach Konflikten abberufen.
Durch zahlreiche Kontakte in östliche Länder kam es zum Engagement insbesondere in Georgien. Dort wollen Naturschützer wertvolle Flächen erhalten, darunter die Wald- und Moorlandschaft bei Colchic. Um einen nahe gelegenen Hafen der Stadt Poti möglichst umweltverträglich so umzubauen, dass er tiefseetauglich wird, wurde gegen regelmäßige Zahlungen aus Hopfgarten ein Berater aktiv, der die Projektentwicklung vorantreiben sollte. Ingesamt sollen an ihn 130 000 Euro geflossen sein. Geld, das aus Sicht des Hauptangeklagten gut angelegt ist, weil damit neben dem Hafenumbau Naturerbestätten eingerichtet werden und sich Menschen im Sinne des Vereinszwecks einbringen können. Das Gericht könnte das etwas anders sehen. Wie, das wird sich an den nächsten Verhandlungstagen zeigen.