04. Mai 2016, 17:33 Uhr

Ungewollt kinderlos

(srs). »Haben Sie Kinder?« Diese Frage trifft Annette Förg noch immer wie ein Stich ins Herz. Denn Annette Förg hat keine Kinder. Während andere Frauen sich auf den Muttertag am Sonntag freuen, graute es der 57-Jährigen lange Zeit davor. Wie sie dem Schmerz begegnet, schildert sie auf einer Internetseite.
04. Mai 2016, 17:33 Uhr
Ein Besuch mit dem eigenen Nachwuchs auf dem Spielplatz: Für Mütter Normalität, für Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch häufig ein Anblick, der traurig macht. (Foto: Oliver Schepp)

Sonntagmorgen: Aus der Küche dringt leise das Tapsen vorsichtiger Schritte. Kinder flüstern. Geschirr klappert. Es sind Geräusche, mit denen am Muttertag so manche Mama aufwachen wird. Eine tiefe Stille empfindet dann hingegen gleichzeitig eine Vielzahl von Frauen, denen es vor dem kommenden Sonntag geradezu graut: Frauen, die von Herzen gern Mutter geworden wären, deren Wunsch nach einer Tochter oder einem Sohn sich aber nicht erfüllt hat. Auch Annette Förg kennt diese Traurigkeit – und die Beklemmung vor dem Muttertag. Die 57-Jährige hat aber gelernt, sich dem Schmerz zu stellen. Unter dem Titel »Makellos kinderlos« bietet Förg, die als Coach arbeitet, im Interet Hilfe und Unterstützung. Und am Sonntag, zum Muttertag, lädt sie Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch zum Plaudern in die Löberstraße ein.

»Haben Sie Kinder?« Wieder und wieder trifft diese Frage Annette Förg wie ein Stich ins Herz. »Das ist der Small-Talk-Killer«, erzählt die 57-Jährige im Gespräch mit der Gießener Allgemeinen Zeitung. Antworte sie mit »Nein«, herrsche nämlich erst einmal betretenes Schweigen. »Das ist dann die Schweigeminute für mein nicht geborenes Kind. « Bisweilen werde sie auch gefragt, warum sie denn keine Kinder habe. Gefolgt von der Mutmaßung: »Du hast eben entschieden, für dich selbst zu sein.« Anfangs habe sie auf die wenig sensiblen Fragen auch mal böse reagiert. Doch inzwischen sei sie für jeden Kommentar gewappnet. »Die Kluft zwischen dem Land der Kinderlosen und dem der Menschen mit Nachkommen ist groß.«

Ungewollt kinderlos: Sechs Millionen Frauen und Männer in Deutschland zwischen 25 und 59 Jahren zählen sich nach Daten der Wochenzeitung »Die Zeit« zu diesem Kreis. Zur Sprache kommt das Thema aber selten. Mit Anfang 30, erzählt Förg, habe sie ihren Partner kennengelernt. »Uns war ziemlich schnell klar, dass wir Kinder haben wollen. Wir haben es versucht.« Das Schlimmste, hält sie fest, sei »das Warten«.

Auch eine künstliche Befruchtung zog das Paar in Erwägung. »Das Beratungsgespräch aber hat mich entsetzt.« Die Risiken – eine künstliche Befruchtung verdoppelt die Gefahr von Fehl- und Frühgeburten – und Maßnahmen wie eine hormonelle Umstellung hätten sie abgeschreckt. »Wir haben uns entschlossen, das nicht zu tun, wegen der Risiken. Das hat eine kleine Beziehungskrise ausgelöst.« Sie und ihr Mann könnten heute aber auf 25 gemeinsame Jahre zurückblicken.

Warum ist Kinderlosigkeit ein Tabuthema? »Irgendwie ist es noch immer die Bestimmung der Frau, Kinder in die Welt zu setzen. Klappt es nicht, wird es als Makel angesehen.« Bei kinderlosen Frauen entstehe eine Leere, komme Scham auf. »Ich habe viel geweint«, sagt Förg. Wenn im Frühling viele Frauen mit Kinderwägen unterwegs waren, habe sie es manchmal nicht ausgehalten. Einmal, mitten im Frühling, sei sie mit ihrem Partner zu einem Flohmarkt gefahren. »Schon auf dem Parkplatz habe ich mehrere schwangere Frauen gesehen. Lauter Babybäuche. Ich habe meinem Mann gesagt: ›Ich kann nicht. Ich muss nach Hause.»«

Während des Gesprächs lacht die Diplom-Pädagogin immer wieder auf. Sie habe jetzt, schmunzelt die 57-Jährige, »mein Baby« gefunden: Eine Internetseite hat sie zu Ostern ins Leben gerufen: www.makelloskinderlos.com. Ihre Kinderlosigkeit habe jetzt Sinn, erklärt sie. Sie wolle kinderlosen Frauen Mut machen, über ihre Gefühle und Erfahrungen zu sprechen. Und sie möchte mit ihrer Arbeit eine Brücke bauen zwischen den Menschen mit und ohne Kinder. Traurigkeit befalle sie hin und wieder immer noch. »Aber ich gehe damit nicht mehr schweigsam um, nehme meine Gefühle an. Trauer bedeutet, alles zu spüren, um den unwiderruflichen Verlust zu begreifen und die eigene Lebendigkeit wiederzuentdecken.« Auch Frauen ohne Kinder empfänden mütterliche Gefühle, betont Förg, die zwei Jahrzehnte lang in der Leitung eines Internats in Marburg tätig war. Ihre Fürsorglichkeit und Kinderliebe lebt sie unter anderem als Schauspielerin im Kindertheater »Gegenstand« aus.

Ein Meilenstein war für die in Marburg lebende Förg der Muttertag im letzten Jahr. »Ich hatte kurz vorher mit einer jungen Frau aus Polen Freundschaft geschlossen, die hier ein freiwilliges soziales Jahr verbracht hat. Am Muttertag klingelt mein Telefon, Ewa ist dran. Und sie gratuliert mir zum Muttertag. Ich war erst mal perplex. Aber sie hat zu mir gesagt: ›Du bist meine Mama Marburg». Mir sind die Tränen gelaufen.«



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