08. Oktober 2019, 21:58 Uhr

Zersplittert - aber gefährlich

Das deutsche Volk hat für sie den höchsten Wert. Sie lehnen die freiheitlich-demokratische Grundordnung ab und wollen sie durch einen autoritär geführten Staat ersetzen. Darin sind sich Rechtsextreme einig. Doch die Szene ist zersplittert, es gibt viele Rivalitäten. Wie gefährlich sind die Rechten in Summe?
08. Oktober 2019, 21:58 Uhr
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Von Rüdiger Geis
Kurth

Sie sind eine relativ kleine politische Szene. Dennoch schaffen es Rechtsextreme immer wieder ins Licht der Öffentlichkeit: durch Hass und Hetze im Internet, Gerichtsstreitigkeiten und Aufmärsche und Veranstaltungen oder durch Gewalt bis hin zu Mordanschlägen. Wie tickt die Szene? Fragen an Dr. Alexandra Kurth. Sie ist Politikwissenchaftlerin und Studienrätin im Hochschuldienst an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist der Rechtsextremismus.

Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke schreckte viele Menschen auf und richtete den Blick nach dem NSU-Skandal erneut auf den rechten Terrorismus. Wieder einmal kam der Vorwurf auf, der Staat sei auf dem rechten Auge blind. Stimmt das?

Alexandra Kurth: Der Staat ist auf dem rechten Auge nicht blind. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten zeigt allerdings ebenso wie der Mordversuch an dem jungen Eritreer in Wächtersbach, dass der Staat die rechtsextreme Szene und ihr Umfeld womöglich nicht genau genug im Blick hat.

Wie ist die rechte Szene in Hessen einzuschätzen? Wo sind die Zentren?

Kurth: Die rechte Szene in Hessen ist den offiziellen Zahlen zufolge und auch real deutlich kleiner als etwa in den neuen Bundesländern. Ungeachtet dessen ist sie auch hier in all ihren Erscheinungsformen präsent: Dies reicht vom klassischen parteipolitischen Rechtsextremismus mit seinen verschiedenen Vorfeldorganisationen über eine Vielzahl rechtsextremer Gruppen und Grüppchen. Regionale Schwerpunkte gibt es in Nord- und Südhessen ebenso wie in Mittel- und Osthessen.

Wie gewalttätig sind die Rechten?

Kurth: Die Affinität zur Gewalt ist ein konstitutives Element rechtsextremer Ideologien. Ob und inwiefern sie manifest wird und in gewalttätiges Handeln umschlägt, hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem vom gesellschaftlichen Klima. In den letzten Jahren hat rechtsextreme Gewalt in allen Bundesländern, auch in Hessen, wieder zugenommen.

Agieren die einzelnen Gruppen getrennt voneinander oder gibt es Vernetzungen? Auch international?

Kurth: Einerseits gibt es in der rechtsextremen Szene vielfältige Konflikte und Rivalitäten, andererseits zahlreiche, auch internationale Vernetzungen.

Können Sie Beispiele für Vernetzungen nennen?

Kurth: Typisch für die Vernetzung sind kombinierte Musik- und Rednergroßveranstaltungen wie sie in den letzten Jahren in Thüringen und Sachsen mehrfach durchgeführt worden sind. Eine der prominenteren Veranstaltungen sind die »Schild und Schwert«-Festivals, bei denen Politik, Musik, Kampfsport und rechter Lifestyle kombiniert werden. Zu solchen Veranstaltungen kommen zum Teil Tausende Rechtsextreme aus dem In- und Ausland, die unterschiedlichen Organisationen angehören. Auch auf der europäischen Ebene sind zahlreiche Parteien und Gruppierungen der extremen Rechten vernetzt, etwa in der Alliance for Peace and Freedom. Ein internationaler Zusammenschluss ist beispielsweise Combat 18.

Und Rivalitäten?

Kurth: Rivalitäten bestehen traditionell zwischen den Parteien, denn sie werben um Stimmen in einem gleichen oder ähnlichem Wählerspektrum. Außerdem gibt es innerhalb der extremen Rechten Konflikte über ideologische und strategische Fragen.

Der Fall Chemnitz im vergangenen Jahr hat gezeigt, wie schnell Rechtsextreme Tausende an einem beliebigen Ort auf die Straße bringen können. Wie erklärt sich das?

Kurth: Die schnelle und hohe Mobilisierungsfähigkeit hat zum einen mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Klima zu tun, zum anderen mit den Möglichkeiten moderner Kommunikation: über die sozialen Netzwerke oder Messenger-Dienste können relativ einfach viele potenzielle Sympathisanten erreicht werden.

Ist das Internet, sind die sogenannten sozialen Medien der neue Volksempfänger der Rechten?

Kurth: In der Zuspitzung teile ich die These nicht. Allerdings gelingt es der rechtsextremen Szene sehr gut, die sozialen Medien für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.

Haben Rechte in den sozialen Medien mittlerweile die Meinungsführerschaft? Was kann man da tun?

Kurth: Sie haben nicht die Meinungsführerschaft, aber sie können darüber Personen mobilisieren, die sie mit ihren traditionellen Propagandamitteln und -möglichkeiten nicht erreichen konnten. Was tun? Das Wichtigste ist aus meiner Perspektive neben der konsequenten Anwendung des Strafrechts - was offline strafbar ist und strafrechtlich verfolgt wird, muss auch online entsprechend geahndet werden - politische Bildung, insbesondere die Vermittlung von Medienkompetenzen, schulisch wie außerschulisch.

Viele Äußerungen von AfD-Politikern legen einen »fließenden« Übergang zum Rechtsextremismus nahe. Welche Rolle spielt die »Alternative« in diesem politischen Spektrum?

Kurth: Die AfD hat von Beginn an die Funktion eines Türöffners nach rechts. Viele Rechtsextreme sind in die Partei eingetreten und dort aktiv. Nicht aufgenommen oder ausgeschlossen wurden nur wenige. Ihr Ziel ist es, die Programmatik weiter zu radikalisieren und an die Macht zu kommen, wobei den meisten die Reihenfolge vermutlich egal ist.

Rechte Meinungen sind inzwischen sogar in der Mitte der Gesellschaft angekommen, selbst bei der Polizei, wie sich jüngst zeigte. Oder wurden sie nur einfach jetzt dort bemerkbar?

Kurth: Dass sich kleinere oder größere Fragmente rechtsextremer Ideologien auch in der Mitte der Gesellschaft finden, ist keine neue Erkenntnis, auch nicht, dass sie in Polizei, Bundeswehr oder Gewerkschaften vorkommen. Zurzeit steht dies stärker im Blickpunkt der Berichterstattung als sonst, weil wir uns in einer Phase befinden, in der rechtsextreme Einstellungen wieder häufiger zu rechtsextremen Gewalttaten werden und dies zu Recht als Bedrohung der Demokratie wahrgenommen wird.

Was ist angesichts dieser Entwicklungen Aufgabe von Politik und Gesellschaft?

Kurth: Politik und Gesellschaft haben die Aufgabe, die Demokratie zu verteidigen, mit allen Mitteln, die wir in unserer Demokratie zur Verfügung haben. Das Scheitern der 1848er-Revolution und noch viel mehr die Zerstörung der Weimarer Republik sollten uns gelehrt haben, was die Alternativen sein könnten, wenn dies misslingt.

(Foto: Ann Süßel)



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